Tonhalle Konzertprogramm

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mit Ariane Stern
(Dramaturgie Tonhalle Düsseldorf, April 2004 - anläßlich des Porträtkonzerts am 6.5.2004)

Durch welche musikalischen Ereignisse wurden Sie als Kind zuerst geprägt ?
Mein Vater spielte in seiner Freizeit oft Klavier - vorwiegend Jazz, aber auch Klassik. Bei größeren Festivitäten wurde regelmäßig musiziert. Seit meiner frühen Kindheit habe ich das Familienerbstück des alten "Hoffmann & Kühne"- Klaviers vor Augen - es steht heute (über viele Umwege nach Düsseldorf gelangt) restauriert in meinem Arbeitsstudio.

Was hat ihr Interesse speziell an elektronischer Musik geweckt ? Wie und wann haben Sie begonnen, sich mit elektronischer Musik auseinanderzusetzen ?
Durch den Klavierunterricht kam ich recht schnell zu anderen Tasteninstrumenten und Synthesizern, die mich aufgrund der direkten Klangfarbenmanipulation sofort begeisterten. Meinen ersten (legendären) Moog-Synthesizer erhielt ich mit 15 Jahren. Seit dem Zeitpunkt hält die Beschäftigung mit dieser Materie an. Der erste eigene Computer folgte 1986. Während meiner Kompositionsstudien wurde der Fokus der elektronischen Musik enger und spezieller (da vorwiegend auf die sog. E-Musik gerichtet).

Ihr Studium absolvierten Sie bei Günther Becker, Dimitri Terzakis, Klarenz Barlow und Hans Zender – vier sehr unterschiedliche Komponisten. Inwiefern spiegeln sich ihre Handschriften in Ihrem Werk wider?
Jeder dieser Komponisten hat mich mit seiner eigenen musikalischen Welt fasziniert und geprägt, wobei ich die wichtigsten und intensivsten Lehrjahre meiner Entwicklung zweifellos mit Günther Becker, später mit Hans Zender (Aufbaustudium) verbrachte. Die Kompositionsklasse Günther Beckers war auch seinerzeit die einzige, die Live-Elektronik und Instrumentalkomposition als gleichberechtigtes Lehrfach anbot. Durch Dimitri Terzakis und seine Wurzeln der byzantinischen Musik, lernte ich auch eine Welt jenseits der "klassischen" Neuen Musik-Szene kennen. Darüberhinaus pflegte ich über Jahre einen lockeren Kontakt zu Klarenz Barlow, dessen originelle Einfälle sowie sein Umgang mit Computern und Computermusik immer wieder überraschten. In meinen Stücken findet man allerdings nicht die "Handschriften" dieser Komponisten wieder. Es ist eher der Zugang zur Musik, das abstrakte musikalisch-kompositorische Denken sowie die ästhethische Kritik und das professionelle Handwerk, die für mich von Bedeutung waren. Darüberhinaus war die Auseinandersetzung mit diesen Musikerpersönlichkeiten, den Menschen selbst, von großem Erfahrungswert.

Wir leben in einer Zeit der – scheinbar – grenzenlosen technischen Möglichkeiten. Stoßen Sie trotzdem mitunter auf technische Probleme und „Grenzen“ ?
Ich versuche meine technischen Ansprüche eher zu minimieren, als ins Grenzenlose zu treiben. Das "technische Angebot" bezüglich der kreativen Produktionsprozesse genügt meinen Ansprüchen durchaus. Technische Probleme (vor allem im Live-Betrieb) gibt es dagegen immer wieder. Es handelt sich oft um nicht ausgereifte und abgeschlossene Software mit Fehlern, Inkompatibilität der Rechnersysteme und Betriebs-Platformen. Der Zeit- und Kostenaufwand zur Lösung technischer Probleme ist 2004 nach wie vor enorm groß und sehr ärgerlich.

Sie haben eine eigene Computersoftware konzipiert. Wie kamen Sie auf die Idee, haben Sie aus der Not eine Tugend gemacht ? Muss man in heutiger Zeit als Komponist Computer gestützter Musik gleichzeitig auch ein Informatiker sein, der seine Programme selbst schreiben kann, da die kommerzielle Software ungeeignet ist ?
Die Konzeption dieser algorithmischen Software begann 1990, in diesen Jahren arbeitete ich mit Atari-Computern. Zwischen 1991-93 war die Phase der Entwicklung und Tests. Es gab auf dem kommerziellen (bezahlbaren!) Sektor einfach noch nichts, was den "intelligenteren" musikalischen Umgang mit Rechnern ermöglicht hätte. Alles konzentrierte sich auf MIDI-Sequencing und Notensatz. Ich war an einer Software interessiert, die meinen musikalischen Bedürfnissen und damaligen Realisierungskonzepten entsprach und nicht immer wieder Zeile für Zeile neu programmiert werden musste. Es gab allerdings keine Alternative dazu, sich als Musiker auch den Aufgaben eines Informatikers zu stellen. Ohne Hilfe und Beratung von Mathematikern und erfahrenen Programmierern hätte ich aber die Arbeit sicherlich nicht fertigstellen können. In den letzten Jahren gibt es zahlreiche Zentren (IRCAM Paris z.B.), die an Entwicklungen von komplexen, offenen und interaktiven Kompositionsprogrammen bzw. "weichen" Programmiersprachen in Zusammenarbeit mit Spezialisten arbeiten und diese kommerziell vertreiben - sogar kostenlose Musik-Programmiersprachen stehen einem Komponisten zur Auswahl.

Ihr Oeuvre umfasst elektroakustische Musik, Soundscapes und live-elektronische Musik in Verbindung mit Instrumental- und Vokalmusik. Gibt es einen konzeptionellen Leitfaden, der Sie seit Beginn Ihrer Arbeit als Komponist begleitet ?
Materialbeschränkung - Entfaltung selbstregulierender musikalischer Systeme

Sie formulieren in Ihrer Musik akustische Ereignisse verschiedenster Art – gibt es da bestimmte Themenkreise, bestimmte kompositorische Vorlagen, die Sie immer wieder beschäftigen ?
Sprache-Text-Sprachklang als Auslöser für musikalische Entwicklungen sowie algorithmische Kompositionen (instrumental-elektronisch)

Inwiefern spielt Improvisation in Ihrer Musik eine Rolle?
Improvisation innerhalb eines Ensembles verwende ich sehr selten - weitaus öfters benutze ich Improvisationsmodelle (auch Echtzeit-Manipulation des Klanges) auf dem Sektor der elektronischen Musik, in Form von algorithmischer Computermusik oder auch als interaktive Verbindung zur Darstellern/Interpreten.

Wie binden Sie auch die visuellen Medien in Ihre Werke mit ein ?
Beim Zusammenspiel zwischen meiner Musik und den visuellen Medien gab es bislang mehrere Kategorien, die über die Vorgehensweise bestimmten: Kompositionen für bereits fertiggestellte Filme/Videos, Musikkonzepte und Aktionen in Verbindung mit bildender Kunst (Klangskulpturen zum Beispiel) und Musik für Theaterszenen. Auf der anderen Seite steht außerdem die Parallelentwicklung von Filmschnitt und Neukomposition in Zusammenarbeit mir einem Regisseur (dies gilt eher für Kurz- bzw. Experimentalfilme), die Entwicklung und Festlegung eigener szenisch-theatralischer Motive innerhalb der Werke sowie Produktion und der Schnitt eigener Videos nach musikalischen Mustern in Verbindung mit paralleler Neukomposition des Soundtracks.

Viele Titel Ihrer Werke, wie „Das Blindenspiel“, „Ihr Fassen nach Wind“, „Der Partner“ usw. klingen sehr programmatisch – soll sich dem Hörer mit dem Klangerlebnis gleichzeitig ein „Programm“ eröffnen ? Oder sehen Sie in Ihren Kompositionen zumeist absolute Musik, in der es ausschließlich um die Architektur der Komposition bzw. um die Architektur des Klanges und deren zeitliche Strukturierung geht ?
Einige Stücke basieren auf direkten programmatischen Ausgangspunkten bzw. gehören zu Werken, die ursprünglich aus Film, Hörspielproduktionen stammen, die auf ein vorgegebenes Thema zugreifen. Dieses Material wird aber meist nicht in Form einer illustrativen Geschichte aufgeführt, sondern aus rein musikalischen Parametern entwickelt und stellt schlußendlich ein autonomes Stück dar. Eine Ausnahme bildet "Das Blindenspiel" : das Stück weist stärkere programmatisch-inhaltliche Elemente auf. Die entstandene akustische Klangwelt assoziiert hoffentlich in jedem einzelnen Hörer auch "eigene Programme" - ich weise lediglich auf den Ursprung und die Arbeitsweise hin.

Gibt es Komponisten – auch jenseits der elektronischen Musikentwicklung –, die Sie in irgendeiner Weise beeinflusst haben ?
Ich beschränke mich auf das 20 Jh.: Strawinsky, Webern, Boulez, Ligeti, Stockhausen, Berio, Nono, Cage und Zappa

Wie sehen Ihre „kompositorischen“ Pläne der Zukunft aus? Gibt es bestimmte Besetzungen, für die Sie gern einmal ein Werk komponieren würden ?
Orchester, Stimmen und Elektronik - Szenisches Werk mit Schauspielern, Sängern, kleiner Ensemblebesetzung, Elektronik und Video - Hörspiel in Verbindung mit den Mythen und der Sprache der Polynesier (Tahiti) - Streichquartett mit Elektronik und Video

Sie verbinden verschiedene ästhetisch-musikalischen Welten miteinander: Die instrumentale/ gesungene und die synthetische/ technisch aufbereitete Welt – lässt sich diese Gratwanderung stets gut ausbalancieren ?
Es ist immer ein Sonderfall und muss von Stück zu Stück auf die Intention, Verträglichkeit, Kompatibilität und den Ursprung sowie die Notwendigkeit des technischen Einsatzes kritisch durchleuchtet werden. Die Balance zu finden, auch mit völlig klang-fremden Material zu operieren, ist ein wichtiger Teil der kompositorischen Dimension und stellt mich jedesmal vor neuen Anforderungen.

Im Zeitalter des hochwertigen „Recycling im großen Stil“ stellt sich immer öfter Frage, inwiefern es sich überhaupt noch lohnt, Musik live im Konzertsaal zu hören, wenn der bequeme CD-Player zu Hause lockt...Wie ist es im Bereich der elektroakustischen Musik, komponieren Sie eher für die Anlage zu Hause oder für das Publikum im Konzertsaal ?
Meine Musik ist in erster Linie für den Konzertsaal ausgelegt. Bei der Produktion habe ich auch immer die Konzertsituation im Kopf. Durch die Kraft und Dynamik mehrkanaliger Beschallungsanlagen in größeren Sälen erreicht sie akustisch erstmals die Intensität, die mir vorschwebt. Die Konzentration und das gemeinsame (zeitgleiche) Hörerlebnis in einem Konzert sind ebenfalls ein nicht zu unterschätzender Faktor. Es gibt Programmteile, die ich ohnehin live in immer veränderter Form präsentieren kann. Auf der anderen Seite ist die Entwicklung der SACDs sowie DVDs eine interessante Alternative für den Musikliebhaber zu Hause, die ich nicht außer Acht lassen möchte.

Stockhausen kreierte in den 50er Jahren, in den Anfängen der elektronischen Musik, völlig neue Klänge, die auf instrumentale Weise nicht zu erzeugen waren und die sich insofern von denen der gebräuchlichen Instrumente wesentlich unterschieden. Neue Klänge bzw. Klanglandschaften schaffen – ist das heute immer noch oberstes Ziel der elektronischen Musik?
Neue Klänge zu kreieren, ist für mich immer noch ein wichtiger Arbeitsabschnitt und ein Ansporn - definitiv aber nicht das oberste Ziel. Ich sehe mich historisch eher an einem Punkt der Verschmelzung und Zusammenführung zahlreicher Objekte, neuer Kombinationen, die in erster Linie meine Gesamtintention ausdrücken sollen.

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