"...letzte Gebärde offener Münder"
elektroakustische Musik/Hörspiel nach Texten von Michael Wüstefeld (2-Kanal)
Entstehungsjahr: 1998
Dauer: ca. 20'
Medien: Audio File/DAT/CDR
Grundlage und Ausgangspunkt des Hörspiels sind zwei Texte von Michael Wüstefeld aus seinem Gedichtband "Stadtplan" (1990). Der Sprachverlauf des gesprochenen und geflüsterten Vortrags wurde mit einer weiblichen
sowie einer männlichen Stimme im Tonstudio aufgenommen. Die Entwicklung und Kombination der musikalischen Objekte bzw. Textphrasen wird von der Häufigkeitsverteilung und Grammatik kleinster sinnvoller Einheiten des geschriebenen Wortes beeinflußt. Für diesen Zweck habe ich sieben phonetische Kategorien erstellt, mit denen alle Wörter unter Berücksichtigung der Graphem-Phonem-Beziehung untersucht wurden. Analog zum Phonem
als kleinster bedeutungsunterscheidender Einheit der gesprochenen Sprache gilt das Graphem als
die kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit der geschriebenen Sprache. Die daraus resultierenden Zahlenkombinationen 1...7, die direkt an musikalische Parameter wie Material, Dauer, Einsatzabstand, Transposition, Dichte, Rhythmus etc. gebunden sind, bestimmen die Entwicklung und die prinzipielle Arbeits-Permutationsweise entsprechender Textstellen innerhalb des Stückes - d.h. die Eigenschaften des geschriebenen Wortes in Wechselwirkung mit dem gesprochenen Wort steuern den Verlauf der akustischen Ebene. Mit digitalen und algorithmischen Bearbeitungsmethoden wird aus semantisch-logischer Sprache ein komplexes Klangfarbengebilde, das sich wiederum in einen anderen Textabschnitt verwandeln kann.. Die Sprache pendelt immer zwischen atomisierten und teilweise verständlichen Wort-Splittern sowie struktureller Klangfarbe.
Durch eine selbstentwickelte Applikation mit der Programmiersprache MAX war ich in der Lage besonders die Materialauswahl (Textabschnitte 1-7/Gedicht) sowie die räumlichen (7 Positionen innerhalb der Stereophonie)
und semantischen Eigenschaften (zeitlicher Ein-und Ausschwingvorgang innerhalb eines Wortes/Kombinationen)
in Echtzeit exakt realisiaren zu können. Zentrale Begriffe der beiden Gedichte wurden durch "time-stretching" auf das zig- bzw. hundertfache verlängert und bilden auch eine harmonische Grundlage einzelner gesprochener Abschnitte. Das in sieben Teile gegliederte Stück entwickelt sich allmählich von den Klang-Charakteristika der Sprecherin Katrin Degenhardt zu dem manipulierten Vortrag von Martin Baltscheit. Alle akustischen Erscheinungen sind der Rezitation der beiden kurzen Texte "Die Begegnungen mit euch" (1987) sowie "Morgen schon besetzten wir" (1986)
entnommen und aus ihr abgeleitet.
Auflistung der gewählten phonetischen Kategorien:
VOKALISCH 1 kurzvokalisch : a e ä i o ö u ü...y(ü)
2 langvokalisch: aa ah a ee eh e äh ä ie y(ü:)
3 Diphtonge: ei ai au eu äu
KONSONANTISCH
4 Stimmhafte Konsonanten/Reibelaute: l m n r n(ng, nk) j(i, j) ...w(w) s(z) j(rz) y(j)
5 Stimmlose Konsonanten/Zischlaute/Phonemkombination(Affrikaten) f v(f) s(ß) sch ch(i) ch(x) z-tz(ts) tsch(cz-c) x(ks)
pf qu(kv)
6 Stimmhafte Explosivlaute: b d g
7 Stimmlose Explosivlaute/Phonemkombination/Affrikaten: p t (dt, th, t) k (k, q, ch, c)
Beispiel: Liste 1
6-2 6-1-6-2-6-4-1-4-1-4 4-1-7 3-5 4-1-4-7 6-4-1-7-1 6-2-4 7-1-4-7-1-4 5-1-4-1-4-7-1-4 3-5 6-1-4 4-2-5-1 4-2-5 3-4-1-4 6-1-4-1-5-7 4-1-4-7 4-2-4-7-1-4 7-4-3-4-1-4 7-1-4-5-1-4-4-1-5-1-2-4 3-5 6-1-4 4-1-5-7-1 5-1-4-7-1-6-1-4 5-2-5-4-1-5-7-3-7 4-1-4-7 2-4-1-4-1-4 3-4-1-5 6-1-5-2-4-5 5-4-1-4-6-1-4 4-2-1 4-3-7 1-4-7-5-1-4-4-7-1-4 6-2-4-1-4 7-3-4-1-4-7-5-1-5-1 6-1-6-2-6-4-1-4 6-1-4-2-4-7 4-1-5 4-1-5-7 3-4-1 1-4-5-1-6-1 6-1-6-2-6-4-1-4 6-1-4-2-4-7 4-1-5 7-3-4-1-4-7-5-1-5 6-2 6-1-6-2-6-4-1-4 4-1-7 3-5
Liste 2
4-1-4-6-1-4 5-2-4 6-1-4-1-5-1-4 4-2-4 6-1-4 7-1-4-1-5-2-4-5-1-4-1-4 1-4-7-1 7-1-4-5-7-4-1-7-5-1-2-4 5-1-4-4-2-5-1-4 1-4-5 4-1-7 4-1-4-7-1-4-4 3-4-1 1-4-6-1-4-7-4-2 5-4-3-4-6-4-1-5-1 6-1-4-2-4-1-4 1-4 5-4-2-1-4 5-7-1-4-6-1 4-3-7-1-4-1-4 5-4-2-5-5 4-1-5-7-1 6-1-6-2-4-6-1 1-5-1-4-1-4 4-2-4-6-1-4 6-2-4-1-4 2-6-1-4 6-2-4 5-7-4-1-5-4-1-5-1-4-4 1-4 4-1-5-1-4 6-1-5-7-4-2-5-1-6-1-4 5-4-1-5-1 6-1 5-2-6-1-4 4-2-4 4-2-6-1-4 3-4 4-1-7-6-1-5-2-4 6-1-4 6-2-4-5-1-4 4-1-4-7 6-2-6-1-4-2-6-1-4 1-4 6-1-4-1-4-4 6-1-5 4-1-5-5 6-2-4 4-2-7 1-7-4-1-5 5-1-4 4-2-6-1 5-2 6-1-5-3-7-7-1-4
Ausgewählte Texte
Text 1 - weibliche Stimme:
Text 2 - männliche Stimme:
© Copyright by Michael Wüstefeld (aus "Stadtplan" 1990)
Michael Wüstefeld. Geb. 1951 in Dresden, schreibt Lyrik und Prosa. Mitbegründer der Unabhängigen Schriftsteller-Assoziation Dresden. 1990 Walter-Hasenclever-Preis der Stadt Aachen, 1993 Stipendiat im Künstlerdorf Schöpingen. veröffentlichungen u.a.:"Stadtplan, Aufbau-Verlag, 1990, "Amsterdamer Gedichte", Hellerau Verlag, Dresden 1994.
Lebt als freischaffender Schriftsteller in Dresden.