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"Dämmerung 1-5"

für Klarinette, Saxophon, Klavier, 2 Schlagzeuger und Kontrabaß

Besetzung: Klarinette (B), auch Baßklarinette (B) - Altsaxophon (Es), auch Baritonsaxophon (Es) - Klavier - Schlagzeug Spieler 1: 1 Tam-Tam (mittel) (mit Filzkopfschlegeln) (Tamt.), große Trommel (mit weichen Handschlegeln) (gr.Tr.), Barchimes (Barchim.), 3 Tempelblocks (hoch, mittel, tief) (mit harten Filzkopfschlegeln) (Tpbl.), 2 Congas (hoch, tief) (Cong.), Cabaza (Cab.), Claves (Clav.), Glockenspiel (mit leichten Holzschlegeln) (Glcksp.) (klingt eine Oktave höher) , 3 Einfell-Tom-Toms (hoch, mittel, tief) (mit Trommelstöcken) (Toms) - Spieler 2: Vibraphon (mit harten und weichen Schlegeln bzw. 2 Kb-Bögen)(Vibr.), 3 Becken mit Ständer (hoch, mittel, tief) (mit weichen Paukenschlegeln) (Bck.), Bambus-Pendelrassel (Bamb.-Pr.), 3 Einfell- Tom-Toms (hoch, mittel, tief) (mit Trommelstöcken) (Toms) Kontrabaß
(Fünfsaiter, C1)

Entstehungsjahr: 1994
Dauer: ca. 18'
Dauer der einzelnen Sätze:

Teil 1 - 4´
Teil 2 - 2´30´´
Teil 3 - 3´19´´
Teil 4 - 3´
Teil 5 - 4´16´´

Als Auftragskomposition für das Festival "forum 20" in Düsseldorf ist das Stück "Dämmerung 1-5" entstanden. Die Rezitation des Schauspielers und Sängers Wolfgang Reichmann mit einigen Passagen aus "Dämmerung", einem Aufsatz, den Kurt Tucholsky im Feuilleton der Wochenschrift "Die Weltbühne" am 11.3.1920 veröffentlicht hatte, ist der Ausgangspunkt dieser Komposition. Nach eingehenden Sprachanalysen erhielt ich das musikalische Ausgangsmaterial. Die konkreten Motive, die ich teils original, teils dekomponiert bzw. abstrahiert oder vertikal verschiedenartig kombiniert in die einzelnen Sätze übernommen habe, bilden die Mikroform, während der Makrobereich von übergeordneten musikalischen Formvorstellungen und der dramaturgischen Entwicklung des Stückes geprägt ist. In jedem der fünf Sätze steht ein bestimmter kompositorischer Grundgedanke, für den auch entsprechende Sprachanalyse- und Filterverfahren zur Verarbeitung des musikalischen Materials eingerichtet wurden, im Mittelpunkt, wobei die kettenartig angelegte Großform des Stückes (1-3-5/2-4) zahlreiche Übereinstimmungen, Gegensätze oder spiegelähnliche Entwicklungen der einzelnen Teile beinhaltet.

Text: Auszüge aus dem Aufsatz "Dämmerung" von Kurt Tucholsky. Veröffentlicht als Feuilleton in der Wochenschrift
"Die Weltbühne", vom 11.3.1920.

1. - " Es konnte die Augen Aufschlagen: wie ein richtiger Mensch. Es konnte lange Sätze sprechen und die Arme hin- und herschlenkern: wie ein richtiger Mensch. Es konnte sich an und ausziehen, laufen, springen, tanzen und Kricket spielen, Whisky trinken und Zeitung lesen: alles wie ein richtiger Mensch..."

2. - "...Diese Zeit hat etwas durchaus Gespensterhaftes. Die Leute gehen täglich ihren Geschäften nach, machen Verordnungen und durchbrechen sie, halten Feste ab und tanzen, heiraten und lesen Bücher - : aber es ist alles nicht wahr..."

3. - "...Sie reden verschiedene Sprachen, die babylonischen Menschen, und sie verstehen einander nicht. Sie sprechen aneinander vorbei, und sie haben weniger gemeinsam denn je...Was sich da träge gegeneinanderschiebt, gereizt sich anknurrt und tobend aufeinander losschlägt -: im tiefsten ist es der unüberbrückbare Gegensatz zwischen Alt und Neu, zwischen dem, was war, und dem, was sein wird...Was wissen wir von der Zeit? Wir stehen davor wie der Wanderer vor der roten Felswand, viel zu nah, um ihre Struktur, geschweige denn ihre Schönheit zu sehen!..."

4. - "...Es geht um mehr, um alles. Es scheint wieder eine der Perioden gekommen zu sein, wo ganz von vorn angefangen werden wird, wo wieder der Mensch auf der Scholle steht und Gräser, Tiere und sich selbst mit grenzenlosem Erstaunen betrachtet..."

5. - "...Wohin treiben wir? Wir lenken schon lange nicht mehr, führen nicht, bestimmen nicht. Ein Lügner, wers glaubt. Schemen und Gespenster wanken um uns herum - taste sie nicht an: sie geben nach, zerfallen, sinken um. Es dämmert, und wir wissen nicht, was das ist: eine Abenddämmerung oder eine Morgendämmerung..."