Musik zu dem Film "Baumblütenzeit in Werder" (1929) von Wilfried Basse
für computergesteuertes Klavier (Yamaha Disklavier bevorzugt) und
digitalen Soundsampler (4 bzw. 2-Kanal)
Entstehungsjahr: 1992/95
Dauer: ca. 11´
Medien: Audio Files/DVD/Video VHS (PAL) (2-Kanal)
Die Steuerung der Klavierklänge sowie des Samplers erfolgt (via MIDI) durch ein selbstentwickeltes und eigens für Film bzw. Videovertonungen konzipiertes algorithmisches Kompositionsprogramm AFSTS (Algorithmic Film Soundtrack System) für den ATARI ST Computer. Bei diesem Programm handelt es sich um ein "real-time" - System, das erst während der jeweiligen Aufführung (in diesem Fall einer Produktion) die Komposition berechnet, was immer wieder zu neuen Versionen führt, ohne die klar erkennbaren Grundstrukturen, beabsichtigten Charakteristika oder präzis-punktuellen Akzente zu verlieren. Dieses Projekt stellt auch die Umsetzung einer Assoziation dar, die sich für mich vor allem in Verbindung mit der in den letzten Jahren wiederentdeckten musikalischen Aufführungspraxis bei Stummfilmvorführungen (Pianist/Organist) eingestellt hat.
Die kompositorischen Prinzipien des zu generierenden Stückes können frei auf alle musikalisch relevanten Parameter, das Timing und die Zeitabschnitte auf 1/10-tel sec. genau editiert werden. Für die Produktion des Soundtracks zu "Baumblütenzeit in Werder" wurden sowohl Geräusche (Menschenmenge, Fest) als auch kurze Ausschnitte einiger Songs aus der "Dreigroschenoper" von Kurt Weill gesampelt und bearbeitet (aus "Ouvertüre", "Moritat von Mackie Messer", "Der Kanonensong", "Erstes Dreigroschen-Finale", "Zuhälterballade", "Lied von der Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens"). Um eine historische Materialübereinstimmung und Nähe zum Film herstellen zu können, habe ich nur die Originalaufnahmen aus dem Jahre 1930 mit den legendären Interpreten Kurt Gerron, Lotte Lenya, Willi Trenk Trebitsch, Erika Helmke, Erich Ponto, Theo Mackeben und der Lewis Ruth Band verwendet. Die "Dreigroschenoper" mit ihren satirisch-kritischen Texten stellt für mich eine ergänzende Ebene, einen Kommentar zu Basses Filmaussage dar. Der Regisseur bedient sich dokumentarisch-poetischer Mittel, die auch humorvoll und satirisch aufgefaßt werden können und ihm laut Überlieferung auch nahelagen. Die Form der Musik folgt dem Gestaltungsprinzip, dem Spannungsverlauf und der Bogenform des Films. Das Tonmaterial der Klavierklänge ist bewußt sehr schlicht gehalten (reine Dur-Tonleiter), um dem globalen Filmcharakter und der vorherrschenden Atmosphäre des Erstlingswerks Wilfried Basses gerecht zu werden.
Wilfried Basse wurde am 17.8.1899 als jüngster Sohn des Bankiers Wilhelm Basse in Hannover geboren. Nach dem Gymnasium besuchte er ein Jahr lang die Kunstgewerbeschule in Stuttgart. Bis 1926 arbeitete er in der väterlichen Bank, abschließend absolvierte er sein Volentariat in der Firma des Kulturfilmexperten Dr. Hans Cürlis in Berlin. Ab 1929 begann er mit der Produktion eigener Filme in der Basse Film GmbH Berlin, die er bis zu einer schweren Erkrankung zu Beginn des Krieges führte. Basse starb am 6.6.1946 in Berlin.
"...Basse war weder ein Sozialforscher noch ein Formalist. Wenn er sich hier und da dem Zeitgeschmack der "schönen Einstellungen" hingab, so war das gewiß nicht sein Eigentliches. Dokumentarische Filme haben, trotz der ihnen angemessenen Gegenstandstreue, von Anfang an die menschliche und künstlerische Haltung ihrer Schöpfer auf sehr verschiedene Weise widergespiegelt. Basse betrieb keine politische Analyse, noch lag ihm die romantische Verherrlichung des Naturmenschen, wie wir sie etwa bei Robert Flaherty finden. Er war ein Satiriker mit einem untrüglichen Sinn für menschliche Unzulänglichkeit. So gelangen auch Basse diejenigen Szenen am besten, in denen er, etwa wie in "Baumblütenzeit in Werder", die Absonderlichkeiten des Kleinbürgertums dokumentierte. Ein helles, scharfes Gelächter war eine von Wilfried Basses bezeichnendsten persönlichen Eigenarten, und als einen Nachfahren der "Simplizissimus-Spötter" sehe ich ihn im Rückblick." (Aus: "Erinnerungen an Wilfried Basse" von Rudolf Arnheim)